Hinweis: Der folgende Bericht soll auf die Gefahren aufmerksam machen, die das Paddeln bei Eis und Schnee mit sich bringt. Er stellt keine Aufforderung des Autors dar, es diesem gleichzutun. Dass das Winterpaddeln nur in der Gruppe und nur mit ausreichender Kälteschutzkleidung (Trockenanzug!) erfolgen darf, ist selbstverständlich.
Nur das Eintauchen der Paddelblätter stört die Ruhe an diesem Donnerstagvormittag vor Heiligabend. Auf der Oberhavel ist jetzt niemand mehr. Segelschiffe und Motorboote liegen an Land. Paddler und Ruderer sind weit und breit nicht zu sehen. Nur die Fähren fahren von einem Ufer zum anderen. Ab und an zieht ein polnischer Lastkahn an mir vorbei. Eigentlich wollte ich jetzt auf der Nordsee sein. Mit der Salzwasser Union sollte es kurz vor der Wintersonnenwende entlang der Ostfriesischen Inseln gehen. Vor Weihnachten herrscht dort meistens das typische Norddeutsche Schmuddelwetter. Diesmal aber haben Eis, Sturm und Schnee zur Absage der Tour geführt. Urlaub habe ich trotzdem. Und so beschließe ich, die nächsten Tage auf dem Tegeler See und der Oberhavel zu verbringen.
Es friert seit zwei Tagen. Ich will zum HKC. Für heute sind - 4 Grad angesagt. Das Fließ aber ist noch eisfrei. Nur direkt am Steg hat sich eine dünne, vielleicht fünf Millimeter dicke Eisschicht gebildet, die beim Einsetzen des Bootes sofort aufbricht. Auf dem Tegeler See ist es fast windstill. Beste Bedingungen also für eine geschlossene Eisdecke. Damit rechne ich spätestens in der Scharfenberger Enge. Tatsächlich hat sich hier erstes Eis gebildet. Aber es ist noch sehr dünn und die Decke noch nicht geschlossen, so dass die Durchfahrt unproblematisch ist. Bald ist Tegelort erreicht und die Oberhavel ist eisfrei. Erst auf dem Niederneuendofer See hat sich etwas Eis gebildet, so dass ich den HKC nicht ganz erreiche und 200 Metern vor dem Ziel wieder umdrehe. Dreieinhalb Stunden nach dem Start komme ich wieder im Verein an. Mir ist kalt, aber ich nehme mir vor, die Tour morgen zu wiederholen.
Am nächsten Morgen zeigt das Thermometer am Küchenfenster - 10 Grad. Auch die gefühlte Temperatur ist deutlich tiefer als gestern. Auf dem Weg zum Bäcker bläst ein scharfer Ostwind. Der Wetterbericht sagt Höchsttemperaturen von - 9 Grad an. Ich denke, heute werde ich nicht über die Scharfenberger Enge hinauskommen. Vermutlich wird es ein kurzes Vergnügen auf dem Tegeler See werden. Mal schauen.
Das Eis am Steg ist weg. Ich bin gespannt und fahre schnell auf den See hinaus; die gleiche ruhige Stimmung wie gestern. Aber das Wasser ist nicht spiegelglatt, sondern bewegt. Die Sonne kämpft mit dem Hochnebel. Auf dem Tegeler See habe ich einen schönen Blick auf die Borsig-Villa, die jetzt im Winter auf der Halbinsel Reiherwerder gut zu erkennen ist. An der Scharfenberger Enge haben die Pfähle der Stege einen Eiskranz bekommen, fast eine Art Heiligenschein jetzt kurz vor Weihnachten. Zu meiner Überraschung ist die Durchfahrt auch heute frei und ich gelange ohne Mühe auf die Oberhavel. Offensichtlich hat der Wind den leichten Eisansatz von gestern wieder vertrieben. Nur ein leises Knistern auf dem Wasser erinnert an den starken Frost. Und: Mein Oberschiff wird langsam aber sicher mit einer Eisschicht überzogen. Mir selbst ist aber noch nicht kalt und die Hoffnung auf eine flotte Tour bis zum HKC beflügelt mich. Mit ordentlichem Tempo geht es die Havel hoch. In Höhe des ehemaligen Kraftwerks merke ich die Kälte. Ich friere zwar nicht, aber es wird unbehaglich. Jetzt gilt es nicht auszukühlen und weiter zu paddeln. Auch meine Neoprenspritzdecke wird nun von einer Eisschicht überzogen. Diese bildet sich von Süllrand her und wächst ebenso schnell wie die Eisschicht auf dem Oberschiff. Noch ist das Wetter schön, kurzfristig schafft es die Sonne, den Nebel ganz zu verdrängen. Etwa in Höhe des alten Wachturms setzt plötzlich ein Schneeschauer ein, der die Sicht stark einschränkt. Ein Frachtschiff fährt an mir vorbei, welches ich nur schemenhaft ausmachen kann. Die wachsende Eisschicht auf meiner Spritzdecke beunruhigt mich, weil ich befürchte, sie nicht mehr öffnen zu können. Ich löse sie zum Test, was problemlos funktioniert und entferne das Eis.
Auf Tagestouren im Winter habe ich mit dem Kälteschutz für die Hände experimentiert. Eine Lösung, die mich gänzlich zufriedenstellen würde, habe ich zwar immer noch nicht gefunden. Aber seit letztem Jahr nutze ich dicke Paddelpfötchen aus Neopren (von Kokatat) und ziehe Fleece-Handschuhe darunter an. Bei leichtem Frost ist das ganz angenehm und die Hände bleiben warm. Heute allerdings stößt auch diese Lösung an ihre Grenzen. Die Paddelpfötchen werden mehr und mehr vom Eis überzogen und formen sich zu Eisklumpen. Die Innentemperatur ist grenzwertig.
Kälte und Schneeschauer bewegen mich daher, mein Ziel aufzugeben und mich auf den Rückweg zu machen. Das Oberschiff ist mittlerweile vollständig vereist. Die Rundumleine hat sich zu einer dicken Glasfaser entwickelt, der Kompass kann nicht mehr abgelesen werden. Und die Spritzdecke ist auch schon wieder vereist. Es hat sich so richtig eingefroren. Wassertropfen verwandeln sich sofort in Eiskristalle. Das Paddeln wird schwerer, der Eispanzer um die Paddelpfötchen immer dicker. Hiergegen kann ich wenig machen. Ich schlage die Pfötchen gegeneinander, aber das Eis löst sich nicht mehr. Trotz aller Widrigkeiten macht die Tour noch Spaß. Der Schneesturm hat sich gelegt.
Nach Oberschiff, Spritzdecke und Paddelpfötchen fängt das Eis nun an, meinen Trockenanzug zu überziehen. Zum Glück habe ich bereits Tegelort erreicht. Ich passiere Scharfenberg und muss mich zusammenreißen. Mir ist jetzt richtig kalt, ich friere und werde deutlich langsamer. Die Bewegungen werden immer steifer und ich verliere langsam mein Bootsgefühl. Ich fühle mich in meinem Seekajak normalerweise in jeder Situation sicher, jetzt aber ist mir unbehaglich. Zur Sicherheit fahre ich dicht unter Land. Ich weiß nicht, ob ich es schaffen würde, bei einer Kenterung wieder hoch zurollen, möchte es heute aber auch nicht ausprobieren. Ich muss die Spritzdecke bestimmt noch zwei- bis dreimal enteisen, was jedes Mal zu fast vollständig steifen Fingern führt. Als ich das Fließ erreiche, bin ich erleichtert, es nach geschafft zu haben. Für heute reicht es mir. Das Boot muss ich als Eisklumpen im Bootshaus ablegen.
Epilog: Die beiden Tages-Touren waren ausgesprochen lehrreich. Es ist ein riesiger Unterschied, ob man bei - 4 oder bei - 9 Grad paddelt. Der extreme Frost führt in kurzer Zeit zu einer heftigen Eisbildung und kühlt sehr schnell aus. Der dadurch verursachte Kraftverlust ist nicht zu unterschätzen.
Fotos und Text Gero M.