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Im Sommer 2007 sind Silke und ich mit unseren Seekajaks von Travemünde nach Stralsund gepaddelt. In diesem Sommer sollte unsere Ostsee- Tour ihre Fortsetzung mit der Umrundung Rügens finden.

Alte Fähr

Freitag, 18. Juli 2008, 9.00 Uhr: Unsere Boote liegen am Strand. Vor wenigen Minuten haben wir sie vom rund 20 Meter höher gelegenen Campingplatz "Alte Fähr" mit Bootswagen heruntergerollt. Ein "Hochrollen" wird nicht in Betracht kommen. Der Aufstieg wäre zu steil. Wenn wir es schaffen sollten, Rügen zu umrunden, werden wir pfuschen – und im Hafen von Alte Fähr an Land gehen. Eine komfortable Slippanlage hilft dort beim Ein- und Ausstieg. Mit dem Auto kann man bis auf wenige Meter an das Hafenbecken heranfahren. Beste Bedingungen – auch für den Start. Hier am Strand endet die Spundwand, die sich vom Hafen Alte Fähr bis hierhin zieht und den Strelasund davon abhält, an den Südwestküste Rügens allzu sehr zu nagen. Ein Schild der Tourismusverwaltung warnt vor dem Betreten der Spundwand. Ein Verbot, dem wir nichts entgegensetzen werden. Der Salzkaries hat den Eichenbohlen in den vergangenen 50 Jahren mächtig zugesetzt. Mehr als Stumpen sind von der Anlage nicht mehr übrig.

Also der Strelasund: Vor einem Jahr hatten wir uns – von Barhöft kommend – nach Stralsund gegen 5 bft. durchgekämpft. Heute sieht es anders aus. Der Himmel ist zwar genauso grau; der Wind kommt aus der gleichen Richtung, wenn auch nur geschätzte 3 bft., aber wir werden ihn im Rücken haben. Was "Windkraft" unter diesen Bedingungen bedeutet, werden wir erst acht Stunden später wissen.

Nachdem die letzten Gegenstände verstaut sind – wieder einmal sind es die Schuhe, die nicht ins Schott passen wollen – geht es los in Richtung Norden. Schönste Schiebewellen von achtern nehmen wir in ihrer Wirkung zunächst gar nicht richtig wahr. Ich bleibe eine ganze Zeit unter Land (bin ich hier wirklich auf der Ostsee?), bringe mich in Stimmung und singe "Übers Meer" von Rio Reiser. Silke fährt 50 Meter seitlich versetzt von mir. Ihr Gesichtsaudruck ist unmissverständlich: Ich habe den richtigen Ton noch nicht getroffen.

Hiddensee und Schafhörn

Es dauert gar nicht so lange, da tauchen links bereits Hiddensee und der Gellen mit dem "Süderleuchtturm" auf. Ein Metalltürmchen von rund 12 Metern Höhe, das in etwa die Grenze des betretbaren Hiddensees vom Naturschutzgebiet des Gellen anzeigt. Es handelt sich bei dem seit 1907 betriebenen Leuchtturm um ein Quermarkenfeuer, das im Westen die Fahrrinne des Gellenstroms markiert und im Osten, also dort, wo wir uns gerade befinden, durch den Schaproder Bodden leitet. Hiddensee – unerreichbares Traumland jedes Seekajakfahrers. Auf Juist (der Schwesterinsel Hiddensees in der Nordsee) darf man nicht Autofahren – das versteht man; auf Helgoland ist das Fahrradfahren verboten (was aufgrund der Absturzgefahr bestimmt auch besser ist); Hiddensee aber verfügt über ein Verbot ganz besonderer Art: Der Mensch darf kein Zelt aufstellen. Nirgendwo und Niemals.

1996 war ich zum letzten Mal auf Hiddensee. Bilder von damals tauchen plötzlich wieder auf. Auf der Rückfahrt nach Stralsund sah ich von der Fähre aus, wie verzweifelte Seekajakfahrer (die natürlich Tunnel- und Igluzelte auf die Insel einschleppen wollten) Obdach auf dieser "Perle in der Ostsee" (Eigenwerbung) suchten. Es nutze nichts. Einheimische – oder waren es die letzten Kohorten der Stasi, die ihre mit Reet gedeckten Datschen gegen Eindringlinge meinten verteidigen zu müssen – trieben die Paddler in den Bodden zurück. Nun gut: Inseln mit absurden Verboten werden damit gestraft, dass der Tagestourist in Heerscharen auftritt. Dies denkend taucht bereits rechter Hand ein anderes Kleinod der vielfältigen Inselwelt um Rügen auf (es sind laut Reiseführer 33 Klein- und Kleinstinseln, die Rügen umlagern): Das Neuseeland der Ostsee – Schafhörn. Eine Insel nur für Schafe. Würde Dolly noch leben, hier würde sie sich zur Ruhe setzten. Wir machen auf dieser Insel der Autofelle und Lammkeulen kurze Rast, bewundern die Kirche von Schaprode aus der Ferne und nehmen zur Kenntnis, dass zwei Seekajakfahrer auf uns zusteuern. Sie teilen uns mit, dass ihr Versuch Kap Arkona zu umfahren wegen widriger Winde gescheitert sei. Trotz des wenig professionellen Handlings (Deckslasten!) der beiden, ist dies für uns ein wichtiger Hinweis. Kap Arkona liegt auf der gleichen nördlichen Breite wie Südschweden. Der Wind kann ungehindert angreifen, wobei es fast egal ist, ob er aus westlichen oder aus östlichen Richtungen kommt.

Dies im Hinterkopf verließen wir Schafhörn und machen uns auf den Weg, um zwischen Hiddensee und Rügen hindurch zu navigieren. Eins vorweg: Hier sollte man ergänzend zum Jübermann- Atlas weiteres Kartenmaterial parat haben. Silke hat sich, wie immer bestens ausgerüstet, mit einer Seekarte dieses Gebiets ausgestattet und ist so in der Lage, entlang des richtigen Tonnenstrichs zu fahren. Wichtig ist dabei zu wissen, dass sich zwischen Hiddensee und Rügen (in Höhe des Beginns des Bug) Sände bilden, die eine Geradeausfahrt verhindern. Das lässt sich alles meistern, ist aber navigationstechnisch ein recht anspruchsvolles Stück der Umrundung. Bald ist die Meerenge zwischen Neubessin (zu Hiddensee mit Sicht auf den Leuchtturm Dornbusch) und dem Bug (zu Rügen) durchquert, und es dauert nicht mehr lange, dass uns der auf Südwest drehende Wind wieder kräftig schiebt, auch weil die Abdeckung durch Hiddensee weniger wird.

Dranske

Bei jetzt etwa 4-5 bft. ziemlich genau von achtern sehe ich zum ersten Mal auf dieser Tour, was den Unterschied zwischen Silkes Hanseat und meinem Wilderness ausmacht: Während Silke die Wellen, die jetzt rd. 50 cm hoch sein dürften, mit Hilfe der integrierten Steueranlage der Reihe nach absurft, plagt mich das Schicksal des Skegboot-Fahrers. Immer wieder muss ich aus dem Grundschlag heraus ins Hecksteuer wechseln und dabei über weite Strecken das Boot auf der Steuerseite steil aufkanten, um Kurs zu halten. Das ist anstrengend. Wir fahren jetzt auf Dranske zu. Dort gibt es ein Caravan-Camp. Nach rund 40 km, die wir heute zurückgelegt haben, wollen wir sehen, ob wir dort übernachten können. Beim Anlanden ist Vorsicht geboten. Vor dem Steinstrand ist mit Holzbuhnen ein Wellenbrecher aufgebaut. Wir gehen an Land, stellen aber bald fest, dass der Ort nicht wirklich gastlich ist und brechen bald wieder auf. Weiter mit den Schiebewellen, der Wind hat etwas nachgelassen und dürfte wieder 3 bft. betragen, geht es noch rund 8 km weiter nach Nonnevitz. Hier werden wir auf dem Campingplatz die Nacht verbringen. Es ist 17.00 Uhr, als wir das Zelt aufschlagen.

Kap Arkona

Am nächsten Morgen geht es früh weiter. Der Wetterbericht verspricht wenig Wind. 2 bft. von achtern bedeuten ohne große Anstrengung rund 8 km/h Fahrt über Grund. Nach rund einer Stunde haben wir Kap Arkona erreicht. Der Himmel graut vor sich hin. Kap Arkona stellt sich spröde dar – es ist nicht wirklich schön, eher unheimlich und etwas bedrückend. Nachdem wir Kap Arkona umfahren haben, freuen wir uns, die Stelle der Tour hinter uns gelassen zu haben, an der die Umrundung auch hätte scheitern können. Wir machen bald Mittagspause in Vitt, einem recht ursprünglichen Fischerdorf. Bald ist klar, dass die Sonne nicht mehr durchkommen wird. Der Wind nimmt zu. Von Vitt aus fahren wir ins Tromper Wiek hinein und halten auf den Campingplatz bei Altenkirchen zu. Beim Anlanden auf dem Steinstrand bedarf es einiger Vorsicht. Die Steine sind teilweise faustgroß; es läuft sich sehr unangenehm auf dem Geröll. Auch ist der Zugang zum Campingplatz nicht ganz leicht zu finden: Es gibt mehrere Dünendurchbrüche. Am folgenden Tag pausieren wir. Der Wind hat auf Süd-Südost gedreht und erreicht bis zu 6 bft, so dass wir gegen den Wind anpaddeln müssten und damit kaum Fahrt machen würden. Dafür ist der Himmel strahlend blau und mit Schönwetterwolken betupft. Wir laufen von Altenkirchen nach Vitt und haben von der Steilküste aus immer "traumhafte" Blicke auf die Tromper Wiek. Auf dem Fußweg nach Vitt sehen wir am Horizont den Schinkelturm und den Neuen Leuchtturm von Kap Arkona.

Lohme

Am nächsten Tag ist es wieder bedeckt und regnerisch. Wir paddeln unter Land entlang des menschenleeren Strandes der Schaabe. Sie trennt die Ostsee von den Boddengewässern im Inneren Rügens. Gegen Mittag passieren wir den Hafen von Glowe, von dort ist es noch eine gute Stunde bis nach Lohme. Unser Plan besteht darin, am nächsten Tag von hier aus die Kreidefelsen zu umfahren um dann möglichst weit nach Süden zu kommen. Im Hafen von Lohme können wir nach Rücksprache mit dem Hafenmeister das Zelt aufschlagen. Vom Hafen gelangt man über eine Treppe ins Dorf, wobei rund 40 Höhenmeter zu überwinden sind. Das Dorf verfügt über einen kleinen Buchladen mit Galerie, wo es antiquarische Bücher, Kunstdrucke und Zeichnungen über Rügen und seine Geschichte zu erwerben gibt. Ein ausgezeichnetes Restaurant befindet sich unmittelbar an der Treppe zum Hafen. Wir beobachten derweil Claas- Heinrich bei seiner Arbeit: Eine vom Fischer aussortierte und auf den Steg geworfene Flunder wird fachmöwisch seziert und gefressen. Dabei achtet Claas-Heinrich argwöhnisch auf Fressfeinde, die ihm seine stinkende Beute entreißen könnten. Seine Artgenossen halten aber gebührenden Abstand. Es wird schnell klar, dass C.-H., wie er von den Einheimischen genannt wird, sich hier im Hafen von Lohme an die Spitze der Nahrungskette gekämpft hat.

Kreidefelsen

Am nächsten Morgen brechen wir mit drei Faltbootfahrern auf, die mit uns die Nacht im Hafen verbracht haben und ebenfalls die Kreidefelsen umfahren wollen. Wieder ist der Wettergott mit uns. Die Kreidefelsen werden von der Sonne in schönstes Licht getaucht, der Himmel ist strahlend blau. Wir lassen uns Zeit, die einzelnen Felsen – Königstuhl, Vikoria-Sicht, Kollicker Ort – zu bewundern und zu fotografieren. Oberhalb der Felsen befindet sich übrigens der kleinste deutsche Nationalpark – der Nationalpark Jasmund. Unten am Strand laufen Spaziergänger. Sie sind für uns unerreichbar, da der Küstenstreifen entlang der Kreidefelsen auch für Seekajaks gesperrt ist. Nachvollziehbar ist diese Regel nicht, aber wir halten den vorgeschriebenen Abstand und haben dadurch eine ausgezeichnete Sicht. Die ehemaligen Wissower Klinken sind indes nur noch Schutthalden am Strand. Sie sind im Frühjahr 2005 abgebrochen. Die Kreide speichert das herunter laufende Wasser. Bei Frost dehnt sich dieses aus und sprengt dann große Kreidestücke ab.

Von Sassnitz nach Göhren

Gleich nach den Kreidefelsen beginnt Sassnitz. Aufgrund des Schiffsverkehrs ist hier Vorsicht und immer ausreichend Abstand zu den Skandinavien- Fähren geboten. Gemeinsam mit den Faltbootfahrern entscheiden wir uns, dass wir das Prerower Wiek queren. Die Querung beträgt rund 14 Kilometer, was in Anbetracht des Rückenwindes von rd. 2 bft und der exzellenten Sicht unproblematisch ist. Nach rd. 1 ½ - 2 Stunden sind wir auf Höhe der Seebrücke Sellin. Wir halten auf Nordperd zu und gehen schließlich am Strand von Göhren an Land. Hinter dem Strand liegt das "Ostseecamping Göhren", welches man über den Strandaufgang Nr. 20 erreicht. Hier bleiben wir einen Tag um uns dann auf unsere "Königsetappe" vorzubereiten.



Die Querung des Greifswalder Boddens

Nachdem wir bislang 120 km gepaddelt sind, starten wir am 23. Juli 2008 früh um 8.30 Uhr. Der Wind wird an diesem Tag stetig zunehmen. Bereits die Umfahrung von Nordperd macht immer wieder den Einsatz des Heckruders erforderlich. Die kleine Querung von Nordperd nach Südperd birgt keine Probleme. Wir umfahren Südperd und gehen noch mal an Land. Vor uns liegt der Greifswalder Bodden. Wir überlegen kurz, ob wir den Bodden auf inselseitig ausfahren oder ob wir bis zum Palmer Ort rund 22 km queren sollen. Der Wind kommt mit ca. 3-4 bft von achtern. Das verspricht schöne Schiebewellen, wird aber auch dazu führen, dass sich mein Skegboot immer wieder quer zu den Wellen legen wird. Wir entscheiden uns für die Querung. In den nächsten drei Stunden wird der Vorteil der integrierten Steueranlage von Silkes Hanseat wie schon bei Dranske nochmal deutlich. Silke kann eine Welle nach der anderen absurfen, während sich mein Boot nach jedem Surf querzulegen droht und mit Steuerschlägen wieder auf Kurs gebracht werden muss. Das kostet Zeit – schon bald liegt Silke weit vor mir und muss immer wieder warten – und vor allem Kraft. Dennoch bewegen wir uns mehr und mehr auf die offene See zu. Nachdem wir rund 3 km vom Ufer entfernt sind, drehen auch die letzten Segelboote bei und nehmen wieder Kurs auf die Inselküste. Bald sind wir allein auf dem Bodden. Nach ca. 1 ½ Stunden haben wir den Punkt erreicht, von dem aus der nächste feste Boden mindestens 7 km entfernt ist – egal in welche Richtung. Nach rund drei Stunden erreichen wir Palmer Ort, den wir umfahren, um dann auf der Westseite eine ausgedehnte Pause einzulegen. Übernachten wollen wir hier aber nicht. Wir fahren weiter bis zur Glewitzer Fähre, wo wir auch den Strelasund queren. Wir steuern den Campingplatz von Stahlbrode an. Hier verbringen wir – nach 44 Tageskilometern – die letzte Nacht unserer Rügenumrundung.

Wieder in Alte Fähr

Von Stahlbrode geht es am 25. Juli 2008 über den Strelasund zurück nach Alte Fähr. Eindrucksvoll steuern wir auf die neue Strelasundbrücke zu, die Stralsund mit Rügen verbindet, und unterqueren sie. Fünfeinhalb Tage auf See hat die Umrundung gedauert. Wir hatten damit gerechnet, dass es länger gedauert hätte. Aber wir konnten an drei Tagen lange Etappen zurücklegen, weil der Wind mitgespielt hat. Im Hafen beschließen wir gegen Mittag mit einer Abschlussrolle die Rügenumrundung nach insgesamt rund 180 Kilometern.

Fotos und Text Gero M.