Als Daniel, Michael und ich uns am 2. Januar 2009 vom Bootshaus des TKV nach Wismar aufmachen, liegt das Fließ unter einer dicken Eisschicht. In den nächsten Wochen werden wir wohl eine Zwangspause in Sachen Winterpaddeln einlegen müssen. Bevor es soweit ist, wollen wir uns aber am nächsten Tag noch an der Eisbärenfahrt der TSG Wismar beteiligen. Sie führt über insgesamt 43 Kilometer vom Priwall bei Travemünde über Boltenhagen nach Wismar. Der Seewetterbericht lässt die Fahrt möglich erscheinen: Es ist Westwind mit 5 bft. vorhergesagt. Erst gegen Nachmittag soll der Wind noch weiter auffrischen - dann wollen wir aber längst wieder in Wismar sein.
Am späten Nachmitttag kommen wir in Wismar an. Die Vereinskameraden des TSG, die auch die jährliche Poel-Umrundung veranstalten, empfangen uns mit der gewohnten norddeutschen Gelassenheit: Nun packt man erstmal aus, und dann sehen wir weiter. Der Schlafraum ist geheizt, im Vereinsraum das Bier schon kalt gestellt. Moin, moin und hallo überall. Geschichten und Geschichtchen machen die Runde. Um halb zehn sind wir im Bett. Aufbruch nach Travemünde morgen früh um sechs.
Am Samstag stehen wir um um 7.00 Uhr am Strand vom Priwall. Es ist noch dunkel - die drei Masten der Passat ragen unheimlich in die Dämmerung hinein. Mit sechs weiteren Teilnehmern bepacken wir die Boote, überall blitzen Stirnlampen. Jetzt bloß nichts in der Dunkelheit vergessen. Daniel ist schon auf dem Wasser, muss aber nochmal an Land. Sein Skeg ist eingefroren. Eine neue Erfahrung. Mit etwas Kraft bekommt er es wieder gangbar. Um halb acht sind wir auf dem Wasser; die anderen waren schneller als wir und haben schon etwas Vorsprung. Das ist uns egal. Ich habe nur ein Ziel: Bei Tageslicht in Wismar ankommen.
Es ist immer noch dunkel. Nur schemenhaft zeichnet sich die Ostseeküste an steuerbord ab. Aber es reicht zur Orientierung. Wir haben Rückenwind wie vorhergesagt und noch halten sich die Wellen zurück. Ideale Bedingungen also. Gegen acht graut der Morgen, um halb neun ist es dann hell. Wir haben uns gut eingepaddelt und nach 1 ½ Stunden 12,5 Kilometer zurückgelegt. Das ist ein Schnitt deutlich über acht km/h und ich freue mich, zumal der Beginn der Steilküste bei Kleinklützhöved in Sicht kommt. Aber der Wind nimmt zu und die Wellen werden stärker. Die ein oder andere Welle können wir absurfen, aber ich muss das Boot auch immer wieder mit Steuerschlägen und dem Heckruder auf Kurs halten. Die Sonne kommt ein wenig durch.
In unseren Booten machen wir Pause von einer Bananenlänge. Schon nach 2 Minuten dringt die Kälte durch Trockenanzug und Paddelpfötchen. Wir müssen schneller weiterfahren als wir wollen. Bald erreichen wir Großklützhöved. Mit der Boltenhagener Bucht liegt die erste größere Querung von rd. 6 km vor uns. Mittlerweile haben wir die ersten Paddler der vor uns gestarteten Gruppe eingeholt. Mit ihnen gemeinsamen queren wir, wobei die Wellen stetig zunehmen.
Am Tarnewitzer Huk angekommen wird der Wunsch nach einer Pause sehr deutlich zur Sprache gebracht. Wir fahren in die Abdeckung. Die Wolken brechen auf. Das andere Ende des Wohlenberger Wieks, das Hohen Wieschendorfer Huk, liegt in sieben Kilometer Entfernung zum Greifen nah. Die Querung scheint in weniger als einer Stunde zu schaffen. Der angestrebte Landgang fällt nach sehr kurzer Diskussion und etwas Tee flach: Wir fahren durch. Für mich kommt jetzt der schönste Teil der Strecke. Die Wellen sind fast einen Meter hoch - Michael und Daniel verschwinden immer wieder für wenige Sekunden in den Tälern. An backbord sehe ich 2 bis 3 Kilometer entfernt das Leuchtfeuer von Lieps. Im Sommer 2007 habe ich mich auf dem Weg nach Poel bei Gegenwind Meter um Meter herangekämpft. Jetzt rauscht es mit dem Rückenwind gleichsam an uns vorbei.
So schön diese Querung war: Mittlerweile sind rund vier Stunden vergangen und ich merke, dass die Kälte langsam in mir hochkriecht. Der Rücken wird kalt. An eine weitere Pause ist jetzt nicht mehr zu denken. Eggers Wiek, die letzte Querung liegt vor uns. Die Karte - wie immer haben wir den ausgezeichneten Jübermann mit - täuscht. Eggers Wiek wirkt wie eine kleine Bucht, doch wir müssen bis zum Fliemsdorfer Huk - eine scheinbar endlose Strecke. Meine Kräfte lassen nach; mir wird immer kälter. Als wir das Fliemsdorfer Huk erreichen, gibt Daniel die zurückgelegte Strecke bekannt: 38,5 Kilometer. Also noch vier Kilometer. Also noch einmal die Zähne zusammenbeißen. Also noch einmal noch alle Kräfte mobilisieren. Ich habe das Gefühl, mich am Tonnenstrich des Hafenfahrwassers mehr entlang zu schleichen denn zu paddeln, weiß aber, dass ich mich immer noch mit ca. 6,5 bis 7 km/h fortbewege. Wir zählen die Steuerbordtonnen durch: 37, 39, 41. Daniel und Michael liegen jetzt gut 300 Meter vor mir und haben die Einfahrt zum Yachthafen ausgemacht. Sie verschwinden hinter der Hafenbuhne. Einige Minuten später ist alles vorbei. Nach fünf Stunden und fünfzig Minuten ist das Vereinsgelände der TSG Wismar um 13.20 Uhr erreicht. Es wird noch gut drei Stunden hell sein. Zielerreichung! Was will man mehr?
Nachtrag: Selten habe ich eine heiße Dusche so wohltuend empfunden wie an diesem Nachmittag. Vielen Dank an die TSG Wismar für die hervorragende Organisation. Selten hat mir eine Tagestour so viel Spaß gemacht wie diese, was wohl auch an Michael und Daniel gelegen hat.
Fotos und Text Gero M.