tkv flagge background gray mit schrift neu04

Von Neuharlingersiel nach Spiekeroog
Jedes Jahr zum Himmelfahrtwochenende trifft sich die Seekajakgemeinde auf Spiekeroog. Niemand organisiert dieses Treffen, niemand tritt als Veranstalter auf. Viele Teilnehmer sind schon seit Tagen vor Ort, die meisten aber paddeln am Himmelfahrtstag mit ablaufendem Wasser von Neuharlingersiel aus die gut acht Kilometer zum Zeltplatz im Südwesten der Insel. Zusammen mit Kay, Erik und Jens treffen Silke und ich bei Sonnenschein gegen Mittag in Neuharlingersiel ein. Im Hafen wimmelt es von Tagesausflüglern und Inselgästen, die mit der Fähre übersetzen wollen. Wie alle Ostfriesischen Inseln hat auch Spiekeroog auf den sanften Tourismus gesetzt und wirbt mit Ruhe vom Alltag und seiner Naturschönheit. Im Gewusel von Neuharlingersiel mag man das kaum glauben. Etwas abseits des Liegeplatzes der Spiekeroog I, die gut eine Stunde nach Hochwasser auslaufen wird, haben wir genug Platz unsere Boote abzuladen und zu packen. Natürlich sind wir nicht allein. Schon hier ein großes Hallo, überall um uns herum werden die Boote klargemacht und Überfahrgemeinschaften gebildet. Gut eine Stunde nach unserer Ankunft lassen wir die Boote über eine Holztreppe in das trübe Hafenwasser gleiten. Zunächst geht es gut einen Kilometer entlang des Leitdamms, dessen Scheitel jetzt schon wieder zu erkennen ist. Wir queren das Neuharlingersieler Wattfahrwasser und fahren entlang des Tonnenstrichs des Osterbalje Fahrwassers am Janssand vorbei nach Spiekeroog. Der ablaufende Gezeitenstrom zieht uns schnell durch das Wattenmeer und wir brauchen kaum mehr als eine Stunde um den Sandstrand der Insel zu erreichen. Schon von weitem können wir die Perlenkette der Seekajaks unterhalb der Düne erkennen. Im Laufe des Wochenendes werden es knapp 200 Boote sein. Der Zeltplatz ist gut, aber nicht überfüllt. Wir bauen unsere Zelte inmitten des Treibens auf und in den kommenden Stunden folgt ein Wiedersehensgespräch auf das andere.
Abends diskutieren wir die Tour für den nächsten Tag. Inzwischen ist Wind von 3 bis 4 bft aus Nordost angesagt. Mehrheitlich entscheiden wir uns, gegen den Uhrzeigersinn um Spiekeroog zu paddeln, also erst durch das Watt und anschließend seeseitig, so wie wir die Tour beim Navigationsworkshop im Januar geplant hatten.


Inselumrundung
Um 11.00 Uhr brechen wir auf, um rechtzeitig das Wattenhoch im Südosten der Insel bei Hochwasser passieren. Karl, mit dem wir bereits Ostern um Ærø herum gepaddelt sind, und zwei weitere Paddelfreunde schließen sich unserer kleinen TKV- Truppe an. Wenn man Spiekeroog zunächst wattseitig umfährt, gibt es dafür zwei Möglichkeiten. Der längere Weg führt durch das Spiekerooger Wattfahrwasser, das zum Teil dichter am Festland als an der Insel vorbeiführt. Der kürzere Weg führt rund zwei Kilometer unterhalb von Spiekeroog lang, wobei es darauf ankommt, die schmale Durchfahrt zwischen dem Inselwatt (Vogelschutzgebiet) und der Swinnplate (Robbenschutzgebiet) zu finden: Hier paddelt man von der Hafeneinfahrt Spiekeroogs (Leuchtfeuer Spiekeroog) mit einem 90° Kurs Richtung Wangerooge. Aufgrund des Nordost-Windes halten wir 10° vor. Dass wir auf dem richtigen Kurs sind, erkennen wir an der nordwestlichen Sperrgebietstonne, die wir in Sichtweite nördlich passieren. Zur Navigation nutzen wir den Weststurm auf Wangerooge. Als wir diesen auf ca. 60° sehen, ändern wir unseren Kurs auf 70°. Irgendwann merken wir, dass die unterstützende Strömung nachlässt und die Gegenströmung einsetzt. Wir haben den Wattrücken vor dem Tidenkipp passiert, so dass wir gegen das letzte auflaufende Wasser anfahren. Unsere Geschwindigkeit über Grund beträgt teilweise nur noch 3 km/h. Dann fahren wir zwischen der Ostspitze der Insel und den Backbordtonnen (Kennung AH) des „Alte Harle“-Fahrwassers hindurch. Dies ist ein Nebenfahrwasser, das in das Hauptfahrwasser der Harle (Tonnenkennung H) einmündet. Es ist nur mit Backbordtonnen gekennzeichnet.

Die Regel, dass von See kommend die Backbordtonnen die linke Seite des Fahrwassers markieren, gilt für das AH-Fahrwasser nicht. Seeseitig von Spiekeroog bekommen wir die letzten Ausläufer einer Strom- gegen Windkonstellation mit, so dass es auf der Tabaksplate, der im Nordosten vor Spiekeroog liegenden Sandbank, ordentlich Kabbelwellen gibt. Als das Wasser abläuft, gehen wir in der Brandung an Land, bleiben aber direkt am Spülsaum. Dann geht es seeseitig zurück zum Zeltplatz. Schnell erreichen wir den Badestrand. Als die Bake auf Spiekeroog etwa auf 210° liegt, haben wir auch die Zone 1 hinter uns gelassen. Wir wollen die Robbenplate, also den Sand im Nordwesten von Spiekeroog umfahren und nicht den schmalen Priel zwischen Spiekeroog und der Plate suchen. Wenn das Wasser bereits weit zurückgegangen ist und gar auch noch Nippzeit ist, kann die enge Umfahrung der Insel dazu führen, dass man viele Hundert Meter über den Sand treideln muss. Das macht keine Freude und so sollte man wenn möglich die Kurve ausfahren. Wir halten uns eng an der Kante der Sandbank. Das Wasser ist zwar kabbelig, aber der Brandungsdruck aufgrund des ablaufenden Wassers nicht groß. Nun steht uns die Fahrt durch das Gatt gegen den auslaufenden Tidenstrom bevor. Gut drei Stunden nach Hochwasser scheint das eigentlich gar nicht möglich, weil jetzt die höchste Strömungsgeschwindigkeit herrscht. Aber direkt an der Kante der Plate ist die Strömung gering. Gegen 15.30 Uhr und nach 27 Kilometern sind wir wieder am Zeltplatz.


Spiekeroog

Spiekeroog ist eine der kleineren ostfriesischen Inseln. Das Dorf liegt gut dreißig Fußminuten vom Zeltplatz entfernt. Obwohl die Insel ausschließlich vom Tourismus lebt, hat sie sich einen urtümlichen Charme erhalten. Es gibt keine Ferienanlagen, kleine Hotels und Pensionen nehmen die Gäste auf. Auch findet man ab und an noch den Hinweis auf das „Fremdenzimmer“, die ostfriesische Form des „Bed and Breakfast“. Auf dem Weg ins Dorf laufen wir an den Gleisen der alten Inselbahn vorbei. Vor dreißig Jahren hatte Spiekeroog noch keinen Fährhafen. Die Passagierdampfer legten am alten Anleger in der Nähe des Zeltplatzes an und Insulaner wie Feriengäste wurden mit der dieselbetriebenen Inselbahn ins Dorf gebracht. Die Reste des alten Anlegers wurden 2009 wegen Baufälligkeit abgetragen, so dass man die alte Spiekerooger Transportinfrastruktur bald nur noch aus Bilder und Erzählungen kennen wird. Natürlich fahren auf Spiekeroog keine Autos. Nur einige Elektrokarren sorgen für den Gepäcktransport. Und auch sonst setzt Spiekeroog darauf, dass die Insel zu Fuß und mit dem „Bollerwagen“ erkundet wird: Fahrräder sind nicht erwünscht. Ohnehin sind mehr als drei Viertel der Insel Zone 1, die nur auf ausgeschilderten Wegen betreten werden darf.


Brandungspaddeln vor Langeoog

Am nächsten Tag fahren wir durch das Gatt an die Nordostspitze von Langeoog. Bei auflaufendem Wasser und Nordostwind baut sich zwischen Westerriff und Süderriff eine schöne Brandung auf. Wir „spielen“ in den Wellen. Fahrt über Grund machen wir kaum. An einer Fahrwassertonne als Orientierungsmarke erkennen wir, dass wir mehr oder minder auf der Stelle paddeln. Jens, Erik und Kay macht es sichtbar Spaß. Mein Tag ist es nicht. Die Spritzdecke schließt nicht richtig ab. Es kommt mehr und mehr Wasser ins Boot. Ich fühle mich wackelig und irgendwann liege ich „im Teich“. Ich schaffe es nicht, hoch zurollen und muss aussteigen. Kay holt mich wieder ins Boot. Während der Rettungsaktion schiebt uns die Strömung ins Gatt und bald befinden wir uns an einer Backbordtonne des Langeooger Wattfahrwassers. Wir fahren noch einmal in die Brandung. Kurz vor Hochwasser geht es zum Zeltplatz zurück. Bevor wir an Land gehen, üben wir uns noch einmal im Rollen. Dabei verliere ich trotz des Brillenbands meine Sonnenbrille. Aber Kay hat sich die Stelle meines vermeintliches Opfers an Neptun gemerkt. Abends suchen wir bei Ebbe den Spülsaum ab. Und tatsächlich finde ich die Brille unbeschädigt im Sandwatt wieder. Wir sollten vielleicht hin und wieder auch mal das Wasser aus dem Tegeler See ablassen und die vielen Brillen und Mützen einsammeln, die dort Opfer des Paddelns geworden sind. Meine Sonnenbrille wird in Zukunft aber auch an der Schwimmweste gesichert.


Zurück nach Neuharlingersiel
Am Sonntag geht es vormittags zurück nach Neuharlinger Siel. Der Wind ist eingeschlafen. Es ist eine ruhige Überfahrt. Vor der Abfahrt nach Berlin gibt es traditionell noch Fischbrötchen. Wir sitzen auf der Hafenmauer und schauen dem Treiben zu. Es war ein schönes Seekajaktreffen auf Spiekeroog.

 

Fotos und Text Gero M.